28.03.2021 - die erste längere Tour in dieser Saison
Was war das für eine Woche? Von Montag bis Freitag habe ich sehnsüchtig aus dem Bürofenster geschaut und den blauen Himmel und die Sonne bewundert. Fast schon sommerlich und das so früh im Jahr. Am Sonntag soll es mit den Kumpels auf Tour gehen. Die erste größere Runde in diesem Jahr. Die Harley ist bereits geputzt, aufgetankt und kam gerade frisch aus der Inspektion zurück. Unser Ziel: vom Südharz aus sollte es auf vielen kleinen Umwegen durch das Eichsfeld in Richtung Eisenach zur Wartburg gehen.
Am Sonntag falle ich bereits weit vor dem Wecker aus dem Bett. Voller Tatendrang öffne ich die Rollos und... SEHE EINEN TRÜBEN MORGEN. AUF UNSEREM GARTEN LIEGT DICKER FROST. Mein erster Gedanke:
Ok - was machen wir daraus? Erstmal abwarten und Kaffee trinken. Kaum zwei Kannen später gehen auch die ersten WhatsApp Nachrichten ein. Zu Lesen ist: "wollen wir wirklich los?", "Ich bin raus, ist mir viel zu kalt." Der Blick auf das Thermometer gibt die ganze Wahrheit preis. Es sind -2 Grad um 9:00 Uhr. Der verbleibende Rest einigt sich in Todesverachtung auf eine Abfahrtzeit 11:00 Uhr.
Die Idee war prima. Als ich um 10:35 Uhr den Kopf aus der Tür stecke ergibt sich ein völlig neues Bild. Die Temperatur ist inzwischen bei +1 Grad. Läuft doch!
Ich entscheide mich ganz spontan für die Thermounterwäsche, 2 paar Socken und die dicke Motorradkombi. Als Ergänzung noch die Unterziehhandschuhe und eine Sturmhaube. Das Aquarium ist bei diesen Temperaturen ohnehin gesetzt. Über meine Jethelme muss ich gar nicht weiter nachdenken. In diesem Moment fährt der Sreuwagen vor dem Fenster vorbei:
Das war es dann wohl mit der Harley. Ich greife zum Schlüssel meiner Glanville und vor meinem inneren Auge bröselt der Rost. Zumindest weiß ich schon jetzt, womit die Tour heute Abend endet: Komplettwäsche...
Punkt 11:00 Uhr rollen wir beide - die Brixton und ich - am vereinbarten Treffpunkt "Alter Grenzturm" kurz hinter Bartolfelde ein. Bereits das erste mal ordentlich durchgefroren. Mein Blick in die Startaufstellung lässt ein gewisses Gefühl der Untermotorisierung in mir aufsteigen: Ducati Multistrada V4s, KTM 1290 Super Adventure S und... klasse, einer der Junioren ist dabei: Yamaha MT125. Da ich vorfahren darf und als einziger die Strecke auf dem Navi habe dürfte mich das retten.
Auf geht's. Die Streckenführung ist klasse geworden. Ich habe überhaupt kein Problem bei den noch nassen Straßen und der sehr niedrigen Asphalttemperatur die großen Brocken in Schach zu halten. Solange es nicht geradeaus geht, verliert sich die hinter mir fahrende KTM im engen Kurvengeläuf sogar das ein oder andere mal im Rückspiegel meiner 250er. Ein bisschen kann man fehlende Leistung doch durch Erfahrung und Mut ersetzen. Die 125er hält unfassbar gut mit. Wahnsinn, wie die Yamaha vorwärts geht. Muss ein klasse Motor und ein solides Fahrwerk sein. Selbst wenn mein Tacho schon 120 km/h anzeigt hängt die 125er noch am Heck.
Da leider alles geschlossen hat, wir bekommen unterwegs nicht einmal Kaffee oder eine Bratwurst, fällt die Mittagspause auf einem kleinen Parkplatz etwas magerer aus. Ich entnehme meiner Ledertasche ein Brötchen, einen Landjäger, ein gekochtes Ein und die Thermoskanne mit Kaffee. Es geht nichts, über eine gute Vorbereitung. Der Rest hat zwar ein paar Häppchen dabei, aber meine Mitbringsel sind nicht zu toppen. Da sich das "alles hat geschlossen" Bild auch die ganze Tour nicht mehr ändert, beschließen wir, auf weitere Stopps zu verzichten. Neben der Mittagspause gab es lediglich 2 Pipipausen und einen Tankstop. Die Wartburg haben wir am Ziel ebenfalls nur aus der Entfernung betrachtet. Unsere Recherche ergab: da ist auch alles zu, selbst der Kiosk. Dafür sind wir letztendlich mit einem wirklich noch versöhnlichem Wetter und recht viel blauem Himmel belohnt worden. Selbst das Thermometer hatte sich im Tagesverlauf noch auf 10 Grand hochgearbeitet. Um 16:00 Uhr bin ich schließlich nach 268km wieder vor meiner Garage vor Anker gegangen.
Wie hat sich die Brixton nun geschlagen?
Ich bin immer wieder überrascht, was das kleine Moped kann. Diesmal hat sie richtig die Sporen bekommen, was sich in einem Durchschnittsverbrauch von 3,92 Litern auf 100km niedergeschlagen hat. Habe sie ordentlich drehen müssen, aber - es hat sich niemand hinter mir gelangweilt. Meine Erkenntnis (auch, wenn ich nach wie vor hubraumstarke Motorräder über alles liebe) zeigt einmal mehr: die 250ccm und 18 PS reichen eigentlich für alles jenseits der Bundesautobahnen lang aus. Ich habe wirklich eine Freude gehabt und es war fast ein wenig sportlich fordernd, vor und nach jeder Kurve über die beste Linie und die Schwungmitnahme nachzudenken, statt nach der Kurve einfach das Gas aufzureißen. Selbst auf die Chinastollen, die mir am Anfang etwas suspekt waren lasse ich inzwischen nichts mehr kommen. Der Grip hat auch bei der Kälte völlig überzeugt und ordentliche Schräglagen erlaubt. Für mich steht fest, wenn die Dinger runter sind, kommen die gleichen Pneus wieder drauf. Das übliche leicht indifferente Fahrgefühl, wie bei allen Stollenreifen (und ich habe viele Vergleichsmöglichkeiten) ist natürlich auch hier vorhanden, aber mit meiner üblichen Strategie "einfach ignorieren" funktioniert das auf der Brixton genau so gut wie auf allen meinen verflossenen Enduros. Was mich aber nachhaltig nervt, ist die Sitzbank. Wie immer hatte ich nach der ersten Stunde das Gefühl, direkt auf dem Rahmen zu sitzen. Das Polster ist einfach unter aller Kanone. Nur meiner Leidensfähigkeit ist es zu verdanken, dass ich längere Strecken nicht stehend im Endurostil bewältigen muss. Da wird auf jeden Fall im nächsten Winter etwas geändert. Und einen neu dazu gekommenen Kritikpunkt habe ich auch noch. Das Fahrwerk ist - wie eigentlich üblich in dieser Preisklasse - wenig komfortabel. Um die Schwächen der verwendeten Komponenten und des verwindungsfreudigen Rahmens auszugleichen, sind die Dinger alle eher auf der straffen Seite. Die USD Gabel macht einen überraschend guten Job, aber wenn es flotter wird, stoßen die Federbeine hinten an Ihre Grenzen, egal ob Ansprechverhalten, Federungskomfort oder Federweg. Da werde ich allerdings nichts Ändern, da die Glanville bei mir ja nicht für weit und flott herhalten soll, sondern für die Alltagsstrecken und selten über 150km am Stück bewegt wird - dann auch gemütlich. Ein Umbau und der zu erwartende Ärger bei der Eintragung können bei dem Fahrzeugpreis für mich nicht schön gerechnet werden. Übrigens: bisher nicht eine einzige Roststelle am Moped gefunden. Das dürfte jedoch mehr der Pflege durch den Besitzer als den verwendeten Materialien zuzurechnen sein. Erzielte Höchstgeschwindigkeit laut Tacho auf der Runde (in der gefühlten Ebene) = 123 km/h. Im Gefälle auf einem ganz kurzen Stück Schnellstraße vor Eisenach zeigte der Tacho kurz einmal die 137 im Display aufleuchten. Aktueller Kilometerstand: 1.667km.
Als kleine Belohnung wird das Motorrad am Abend sofort noch gewaschen - das Salz muss runter! Nach der umfassenden und sehr gründlichen Wäsche wurden Lack und Rahmen wieder frisch mit Wachs versiegelt, und alle blanken Metallteile und der Auspuffsammler mit Balistol Werkstattöl gepflegt. Dann die Kette reinigen und schmieren und alle Steckverbindungen und Gelenke mit Kontaktspray bzw. Teflonspray behandeln. Fertig. Noch einmal richtig heiß laufen lassen, damit das olle Auspuffband trocknet und es unter dem Krümmer nicht rostet und danach wartete der Platz im sicheren Hafen der Garage und der Anschluss am Batteriepflegegerät. Die Ledertasche wird separat mit Bienenwachs behandelt und alle Metallteile der Schließen pfleglich geölt.
Zur Entschädigung, durfte mich in der darauffolgenden Woche die Harley durch den Alltag begleiten und mich auf dem Weg ins und vom Büro erfreuen. Ach, mein Dickerchen... Deine Stunde kommt auch noch.
Fahrzit: Außer dem Drang zum "Habenwollen" gibt es eigentlich keinen Grund für Mehrleistung (Ach quatsch - Hubraum ist durch nichts zu ersetzen )